DVNLP-Kongress 2022

Ein Naturwissenschaftler wundert sich:
Gefühle und das ganze Drumherum

Von der reinen Qualität des Gefühls kommend "Hier stimmt etwas nicht!" wundere ich mich über Buddhismus, Erkenntnistheorie und Linguistik.


Ich wundere mich, wie häufig philosophische Konzepte, die gerade die Verbindung von Essentiellem und Phänomenalem betonen, in Beschlag genommen werden, um dann eine Einseitigkeit zu propagieren.

Das Gefühl grenzt sich subjektiv-individuell ab, doch die Wissenschaft erobert sich das Universum zurück

Im Sinne von George Spencer-Brown markiert das Gefühl einen Bereich, der sich von allem anderen abgrenzt, so auch von der Kognition. Der Naturwissenschaftler wundert sich: Welcher Unterschied liegt dieser Unterscheidung zugrunde? Offenbar eine nach dem Alter der Gehirnregionen, in denen die Verarbeitung stattfindet: Hier der Hypocampus, da der Neocortex. Nun mag es ja sein, dass Reize rasend schnell mit wenig Energieaufwand unbewusst, spontan, autonom verarbeitet werden, doch Emotionale Intelligenz ergibt sich erst, wenn das Gefühl der Kognition begegnet und zur Emotion wird.

Der intersubjektive Zeichenprozess

Ich wundere mich über manche Spielarten des Konstruktivismus - gerade wenn sie in Verbindung mit Kommunikation gebracht werden. Denn wie soll Kommunikation als eine gemeinsame Verständigung gelingen, wenn die äußere Realität völlig bestritten wird und alle individuell-subjektiven Bewusstseine, jedes für sich, völlig ohne gemeinsame Bezugspunkte ihre eigenen Wirklichkeiten konstruieren?

Erst das Anerkennen einer gemeinsamen Realität mit Regelmäßigkeiten, die auch in die Zukunft weisen, macht eine Diskursethik sinnvoll. Ein Strohmann-Argument nutzen jene, die nun anführen, dass es keinen Determinismus gäbe. Einen Denkfehler begehen jene, die mit dem Begriff der "Kontingenz" alles für möglich halten. Wenn etwas weder notwendig, noch unmöglich ist, folgt daraus noch lange nicht, dass alles sehr wahrscheinlich ist.

Erst mit der Landkarte wird das Gebiet erkannt.

Ich wundere mich, das Alfred Korzybski ständig verkürzt und damit falsch zitiert wird, wo er doch im Original geschrieben hat: "Eine Landkarte ist nicht das Gebiet, das sie abbildet, aber, wenn regelrecht/ sachgemäß, dann hat sie eine ähnliche Struktur zum Gebiet, was ihre Nützlichkeit begründet/ bedingt/ erklärt."

Korzybskis Semantisches Differenzial:

Wiederentdecken der Bedeutung

Ich wundere mich darüber, wie Lernen und Erkenntnis gelingen soll, wenn Form ohne Inhalt, Struktur ohne Konzepte, Syntax ohne Semantik, Operator ohne Operanden, Funktion ohne Variablen, Prozess ohne Ereignisse gedacht werden.

Erscheinungsweisen des Seins:
Da ist mehr als das reine Gefühl!

Ich wundere mich, wie das, was Peirce "Drittheit" nennt, aus Erkenntnisprozessen und Erkenntnistheorien getilgt wird.

Als Naturwissenschaftler bestreite ich, dass es Wissenschaft ohne Drittheit gibt.

Peirce Zeichentheorie

Ich bewundere als Naturwissenschaftler Charles Sanders Peirce, der nicht nur Logiker und Philosoph, sondern auch Naturwissenschaftler war und dessen Theorie der Zeichen es ermöglicht, erkenntnistheoretische Vorstellungen zu integrieren - das Objektiv-Reale und das Subjektiv-Konstruierte.

Man kann über alles sprechen - in einer Kulturgemeinschaft mit gemeinsamen Erfahrungen und Begriffen, die Erfahrungen sachgemäß abbilden.

Ich zeige anhand meines Koans, Satz 7 von Ludwig Wittgenstein, wie der Zeichenprozess nach Peirce von einem rhematisch ikonischen Qualizeichen zu einem Argument (und damit symbolischem Legizeichen) führen kann. Hier spielt Gefühl als reine Qualität eine Rolle - mein Gefühl: "Hier stimmt etwas nicht." Der kognitive Erkenntnisprozess bleibt nicht bei diesem Gefühl stehen, sondern nutzt es als Motivation, um beharrlich und mit Frustrationstoleranz eine stimmige Erklärung zu finden im Sinne der Kohärenztheorie der Wahrheit.

Das Phänomenale und das Essentielle

Ich stelle einen Zusammenhang her zu buddhistischen Begriffen, der Ebene des Phänomenalen und der Ebene des Essentiellen. Wieder wundere ich mich: Darüber wie einseitig das Phänomenale betont wird und darüber, dass philosophische Konzepte, die nun gerade die Verbindung von Essentiellem und Phänomenalem betonen, in Beschlag genommen werden, um dann diese Einseitigkeit herauszustellen.


Ich wundere mich, dass Edmund Husserls phänomenologische Methode, die sehr wohl die Verbindung zwischen logisch-objektiver Struktur und subjektiv-empirischer Welt betont und Logos als Zugangsart zu Phänomenen erkennt, häufig so dargestellt wird, als würde er sich einseitig auf das Phänomenale beziehen.

Struktur als Menge von Relationen angewandt auf einen einzelnen Kommunikationsakt

Ich wundere mich und wehre mich, wenn Manipulation als einzige Relation zwischen Sender und Empfänger einer Botschaft verstanden wird.


Da wundere ich mich sehr über die unterschiedliche Sozialisierung von Naturwissenschaftlern und von Geistes- und Sozialwissenschaftlern!

Kolb Lernzyklus

Ich wundere mich, dass Kolbs Lernzyklus wunderbar die Verbindung von Phänomenalem und Essentiellem, von Erfahrung und Theorie, von Modellbildung, Anwendung und Reflexion darstellt - und dass dann doch wieder die Abstraktion, die Modellbildung, das Denken abgewertet wird.

Controlling als Steuerung

Ich wundere mich, wie sehr richtigerweise die Bedeutung von Rückkopplungen in Systemen betont wird - und wie wenig Prozesse modelliert werden, die diese Rückkopplungen dann auch abbilden.

Ich wundere mich, wie häufig "controlling" mit Kontrolle übersetzt wird und wie sehr Kontrolle als eine wichtige Funktion im Steuerungskreis dann als ohne weitere Differenzierung gefühlsmäßige Reaktionen triggert.

Peirces Systeme der Metaphysik und die deutsche Kultur der Dichter und Denker

Charles Sanders Peirce hat die Systeme der Metaphysik, man kann auch sagen der Meta-Philosophie, klassifiziert. Die deutsche Kultur der Dichter und Denker steht in der Tradition des Kantismus, eines der komplexesten Systeme, das über Fühlen und Reagieren hinausgeht und verallgemeinernde Gedanken, vermittelnde Beziehungen zulässt. Nur so ist Lernen aus Erfahrung möglich, nur so ist eine verantwortungsvolle Abschätzung der Folgen von Handlungen möglich, nur so kann Ethik als ehemalige Teildisziplin der Philosophie wiederentdeckt werden und als Diskusethik in Demokratien gewaltfreie Entscheidungs-prozesse leiten. Und nur so kann "der Garten, der von Dschungel umgeben ist", Garten bleiben - verbunden mit dem Angebot (fernab von "Imperialismus" und "Kolonialismus"), Erfahrungen auszutauschen zur Entwicklung demokratischer Strukturen und Prozesse , die letztlich friedenssichernd sind.

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